Es wurde bereits dunkel, als Klara mit dem Wagen auf die Zufahrt zur Lichtung einbog. Sie ließ ihn auf dem gekiesten Rondell zwischen den beiden Gebäuden langsam ausrollen. Dann stellte sie den Motor ab, warf einen Blick auf den schlafenden Gregor neben sich, öffnete vorsichtig das Handschuhfach vor seinen Knien und nahm eine Taschenlampe heraus. Leise stieg sie aus, tastete nach dem Hausschlüssel an dem versteckten Haken unter der Vortreppe, schloss die Tür auf und betrat das Haus. Sie knipste die Taschenlampe an. Der alte Sicherungskasten flößte ihr jedes Mal von Neuem Respekt ein. Sie drehte die Hauptsicherung hinein und hörte, wie der Kühlschrank in der Küche ansprang. Erleichtert schaltete sie das Licht an. Nichts schien sich seit ihrem letzten Aufenthalt hier verändert zu haben. Sie stieg die schmale, steile Holztreppe hinauf, die unter jedem ihrer Schritte ächzte. Hier oben waren die Schlafzimmer. Ausgetretene Dielenböden, offene Kamine, weiß gefasste ornamentale Holzschnitzereien mit Resten von Gold, Betten mit filigran geschwungenen Beinen, zerschlissenen Matratzen und Bettüberwürfen, marode Elektrik über Putz. An der Wand Bilderrahmen mit alten Familienfotos und toten Fliegen hinter Glas. Waschtische mit Schüssel und Wasserkrug. Und in einem der drei Räume zwischen zwei Fenstern ein ausladender Tisch. In diesem Raum hing am frühen Vormittag immer träge die Morgensonne und tauchte ihn in gleißendes Licht. Wegen dieses Tisches und dieser Morgensonne war Klara hierher gefahren. Sie würde wieder jeden Morgen um sieben Uhr aufstehen und hier den Vormittag über schreiben. Einen besseren Ort zum Schreiben als diesen gab es nicht. Nirgends.
[Auszug aus dem verschlungenen Schreibprojekt „Das Sommerhaus“ – ein Experiment, von dem noch unklar ist, wohin es führt]